Stellungnahme vom 20. April 2019
Zunächst die Ergebnisse des Vergleichs der drei verschiedenen Regelungen im Überblick:
Kriterium |
Widerspruchslösung |
Verbesserte Zustimmungslösung |
Bonus-Lösung |
Wirksamkeit gegen den Tod auf der Organ-Warteliste |
Recht gut |
Schlechter als WSL |
Sehr gut |
Respekt vor dem Nein |
Vollständig |
Vollständig |
Vollständig |
Sicherung der Autonomie der Entscheidung |
Vollständig |
Vollständig |
Vollständig (mit kleinem „?“) |
Fairness |
Mittel |
Gering |
Hoch |
Politische Realisierbarkeit in Deutschland |
Mittel |
Mittel |
Aussichtslos |
Verbreitung |
In den meisten Ländern |
Nur in wenigen Ländern |
Nur in Israel und Singapur |
Zwei mögliche Reformen der Organspende werden aktuell in Deutschland diskutiert: die Einführung einer Widerspruchslösung (WSL, Gruppe um Gesundheitsminister Spahn und Karl Lauterbach) und eine Verbesserung der geltenden Zustimmungslösung (ZL, Gruppe um Annalena Baerbock). Zusätzlich soll hier auch die Bonus-Lösung (BL) in den Vergleich einbezogen werden.
Die Minderung der Zahl der Toten auf der Organ-Warteliste, also die Wirksamkeit der Regelung, dürfte bei der WSL stärker ausfallen als bei der ZL, selbst wenn die Hinterbliebenen bei der WSL noch mitreden dürfen. Das ergibt sich eindeutig aus systematischen empirischen Studien mit vielen Ländern, vielen Jahren und vielen Einflussfaktoren. Nur die BL dürfte noch besser sein: Wer ein Spenderorgan benötigt und früher einen Spendeausweis unterschrieben hat, erhält einen Bonus in Form eines (ein wenig) besseren Platzes auf der Warteliste. Wie das Beispiel Israel zeigt: sehr wirksam.
Der Schutz der Nein-Sager gegen eine von ihnen nicht gewollte Organentnahme nach dem Tod ist in der aktuellen Form der Zustimmungslösung schwach, weil es für das Nein keine sichere (z.B. eine elektronische) Registrierung gibt, und die Hinterbliebenen oft nicht wissen, was der Wunsch des Verstorbenen war. Die diskutierte Verbesserung der ZL im Baerbock-Vorschlag besteht nun darin – und im Grunde nur darin, denn von der behaupteten Entscheidungs-“Pflicht“ kann ja keine Rede sein –, eine elektronische Registrierung einzuführen. (Diese hätte man längst haben können, denn das Transplantationsgesetz sieht ein solches Register ausdrücklich vor. Aber es bleibt bis heute bei den Zetteln und Plastikkärtchen des „Spendeausweises“.) Dagegen gehört zu einer WSL (ebenso wie zur BL) zwingend eine sichere Registrierung der getroffenen Entscheidung, und das heißt: eine elektronische Registrierung wie in allen Ländern mit WSL. Wenn die geltende ZL um eine elektronische Registrierung ergänzt wird, ist der Schutz der Nein-Sager ähnlich sicher wie bei der WSL und der BL.
Die Autonomie der Entscheidung für oder gegen die postmortale Organspende werde durch die WSL eingeschränkt, sagen manche. Ein bekannter akademischer Fach-Ethiker versteigt sich sogar zu der Behauptung, die WSL würde auf eine „Zwangssozialisierung der Organe“ hinauslaufen. Leider ohne Begründung. Wie ist es bei nüchterner Betrachtung? Dazu muss man ein paar Fälle unterscheiden.
Wie ist es bei der BL, die den Inhaber eines Spendeausweises mit einem besseren Wartelistenplatz belohnt? Wie die allgemeine Lebenserfahrung und das Beispiel Israels zeigen, dürfte die BL dazu führen, dass sich mehr Menschen für den Spendeausweis entscheiden. Hätte die BL in diesem Fall die Autonomie der Entscheidung beeinträchtigt? Darüber kann man vielleicht streiten. Aber sicher ist: der Tod auf der Organ-Warteliste würde eingeschränkt.
Ob viele oder wenige Menschen durch die geltenden Regeln zu der moralisch fragwürdigen Haltung Nehmen Ja – Geben Nein verleitet werden – das macht den Unterschied in der Fairness des Regelsystems aus. Die BL würde nicht nur dem Tod auf der Organ-Warteliste wirksam begegnen sondern auch die Fairness des Systems der Organspende erhöhen.
Wie fair wäre eine WSL (ohne Bonus) in Deutschland? Legt man die Zahlen aus Österreich (dort WSL ohne Bonus) zugrunde, ergibt sich, dass bei einem Übergang von der ZL zur WSL die Zahl der Menschen, die die Haltung Nehmen Ja – Geben Nein einnehmen, erheblich zurückgehen würde. Diesen Effekt hätte die um ein elektronisches Register ergänzte ZL nicht, die unter den drei verglichenen Regelungen also am Unfairsten ist.
Die politische Realisierbarkeit der BL ist nicht nur am geringsten von den drei Alternativen, sondern in Deutschland wohl auch gleich Null. Dagegen scheinen die WSL und die Reform der ZL in etwa gleich gute Chancen zu haben.
Die meisten anderen Länder haben sich längst für die WSL entschieden. Eine ZL gilt nur noch in wenigen Ländern. Eine BL haben bis heute aber nur zwei Länder eingeführt: Israel und Singapur.
Fazit: Wenn man nur die WSL mit der (verbesserten) ZL vergleicht, wird man sagen können: 6 : 3 für die WSL.
Dr. Rigmar Osterkamp
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